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Ein sehr persönlicher Nachruf auf Dr. Leuthold
- 11. Oktober 2016
- Gepostet von: Katrin Ebinger-Möll
- Kategorie: Ehemalige
Dr. Gottfried Leuthold gestorben
Mit Verspätung erreicht mich diese Nachricht. Es steht mir nicht zu, einen Rückblick auf sein Leben zu geben. Er war der erste Schulleiter des auf 13 Jahrgangsstufen ausgebauten Gymnasiums in Münsingen, in dem erstmals im Jahr 1972 das Abitur abgenommen wurde. Ich gehörte zum vierten Jahrgang, der im Jahr 1975 in Münsingen das Abitur ablegte. Dr. Leuthold war in meiner Schulzeit der Leiter der Schule, aber er war auch mehrere Jahre lang mein Geschichtslehrer. Ich habe viel von ihm gelernt. Er hatte den II. Weltkrieg noch als Soldat erlitten, aber überlebt. Er hat seinen Geschichtsklassen authentisch berichtet, dass er die Züge in Osteuropa gesehen und gehört hat, in denen massenhaft Menschen eingesperrt waren. Alle Deutschen haben nach dem Krieg erfahren, dass darin jüdische Menschen in die Vernichtungslager gekarrt wurden. Dr. Leuthold analysierte: Wir hätten es wissen können, aber wir haben nicht nachgefragt. Er hatte einen scharfen Blick für historische Situationen.
Ich erinnere mich an eine Wahlkampfveranstaltung in Münsingen vor der Landtagswahl 1972, in der der Politiker Kai-Uwe von Hassel in polemischem Ton die damalige Ostpolitik Willy Brandts niedermachte. Ich war knapp 15 Jahre alt und hielt Herrn von Hassel entgegen, dass auch seine Partei in der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 den Verhandlungsprozess mit der Sowjetunion eingeleitet habe. An seine genaue Antwort erinnere ich mich nicht mehr – jedenfalls attackierte er mich verbal und brachte den vollbesetzten Saal zum Lachen. Daraufhin erhob sich der ebenfalls anwesende Dr. Leuthold mit den Worten „Entschuldigen Sie!“ und verwahrte sich gegen diesen Stil des Lächerlich-Machens eines sachlichen Arguments. Ich habe ihm das nie vergessen.
Das Jahr 1972 – Stichworte: gescheitertes Misstrauensvotum gegen die Regie–rung Brandt/Scheel, vorgezogene Neuwahlen, Sieg der sozialliberalen Koalition und damit der Ostpolitik Willy Brandts – hatte für mich mit dem Paukenschlag des Herrn von Hassel begonnen und blieb für mich und viele Zeitgenossen ein bewegtes politisches Jahr.
Das Hinscheiden von Dr. Leuthold ruft die Erinnerung an diese Ereignisse vor 44 Jahren wach und gemahnt uns Überlebende, wie vergänglich wir doch sind. Es ist bereits ein kleiner Trost, wenn wir uns kleiner nobler Gesten wie der des Dr. Leuthold 1972 mit Dankbarkeit zu erinnern vermögen.
Oskar Hartmann, Töngesgasse 32, Frankfurt am Main